Ich und «das Andere» war zuerst ein Kunstvermittlungsprojekt. Die Kernidee war mit künstlerischen Mitteln ein gesellschaftspolitisches Themenfeld zu behandeln: Toleranz, Vorurteil, Diskriminierung. Das Projekt wurde 2018 am BPI (Berufsvorbereitendes Schuljahr Praxis und Integration) Bern und 2019 an der Sekundarschule Münchenbuchsee durchgeführt. Die Kunstschaffenden Selina Lauener (Kunstvermittlung), Marco Frauchiger (Fotografie) und Ben Pogonatos (Klangkunst) arbeiteten mit den Jugendlichen zu ihrer Identität, verschiedenen Formen des Andersseins, Toleranz und Diskriminierung.
Vor allem die Zusammenarbeit mit den zwei Schulklassen des Berufsvorbereitenden Schuljahrs war eine grosse Bereicherung für alle Beteiligten, auch für uns Kunstschaffende. Die Jugendlichen, die maximal seit drei Jahren in der Schweiz lebten, waren voller Motivation und kreativer Einfälle. Sie hatten einen ungewöhnlichen, etwas «anderen» Blick auf die Schweiz. Im Rahmen des Projekts entstanden unter anderem fotografische Selbstinszenierungen, Gedichte, Statements und Audiofeatures. Diese Werke sind nun als Anschauungsmaterial Teil des Lehrmittels.
Um das Projekt für die gesamte Schule zugänglich zu machen, entstanden jeweils eine Abschlussausstellung und ein Dossier mit Lerneinheiten. Diese Einheiten konnten die anderen Lehrpersonen mit ihren Schulklassen selbstständig bearbeiten. Sie kamen bei vielen Klassen sehr gut an: motivierte Schulstunden und teilweise rege Diskussionen.
Auf Anregung von éducation21 entstand die Idee, aus dem Dossier ein Lehrmittel zu entwickeln. Herzlichen Dank an alle, die mich unterstützt haben, dieses Lehrmittel und das dazugehörige Unterrichtsmaterial zu realisieren.
Ich und «das Andere» I
Kulturvermittlungsprojekt am Berufsvorbereitendes Schuljahr Praxis und Integration, BFF Bern, 2018,
von Selina Lauener, Marco Frauchiger, Ben Pogonatos.
Texte aus der Abschlussausstellung: Statements, die von den Schüler*innen geäussert oder geschrieben wurden
Toleranz bedeutet für mich respektieren und einander verstehen.
«Ich und das Andere» bedeutet für mich, was für Gedanken ich habe und was für Gedanken die anderen Leute haben. Denn wir sind nicht alle gleich.
Diskriminierung bedeutet, wenn die Mehrheit-Leute den Minderheit-Leuten nicht die gleichen Rechte geben.
Wenn ich in den Zug oder ins Tram einsteige und mich die Kontrolleure sehen, dann kommen sie immer zu mir. Obwohl sie eigentlich in einem anderen Wagen kontrollieren wollen und sie meinen Wagen schon kontrolliert haben.
In einem Laden habe ich ein T-Shirt gekauft. Da kam eine fremde Frau zu mir und hat gesagt. «Ich bezahle für dein Leben hier und du kaufst damit ein T-Shirt.» Ich sagte einfach «Merci vielmal». Dann hat die Frau nichts mehr gesagt.
Es braucht Glück, Freundschaft, Familie und auch dass man mit sich zufrieden ist.
Die Schweiz ist für mich anders. Sie ist kompliziert und vor allem für uns Flüchtlinge schwierig.
Ich habe Angst vor Krieg, weil man dann nicht in Ruhe leben kann.
Ich muss zuerst sehen, dass ich selbst auch Teil des Problems bin. Wenn jeder sagt, der Andere ist das Problem, dann gibt es Krieg. Dann geht das Land kaputt.
Wir Menschen sind sehr unterschiedlich, zum Beispiel Farben, Ethnien, Gedanken und Religionen. Diese Unterschiede finde ich sehr schön. Denn jeder hat seine eigene Kultur. Jede Kultur hat viele gute Sachen, die sehr interessant sind.
Ich und «das Andere» II
Kulturvermittlungsprojekt an der Sekundarschule Münchenbuchsee, 2020,
von Selina Lauener, Marco Frauchiger, Ben Pogonatos
Texte aus der Abschlussausstellung: Statements, die von den Schüler*innen geäussert oder geschrieben wurden
Wenn jemand eine andere Meinung hat, akzeptiere ich sie.
Jeder sollte seinen Körper so lieben, wie er ist.
In der Primarschule habe ich mich als dunkelhäutige häufig nicht wohl gefühlt. Doch jetzt habe ich einen guten Lehrer. Zu ihm kann ich gehen, wenn ich ein Problem habe.
Die Toleranzgrenze ist da, wo es nicht mehr Spass ist.
Eine Lehrperson hat mich mal als N*** bezeichnet. Es fühlte sich scheisse an und machte mich wütend, doch ich habe nichts gesagt, weil ich nicht wusste, was antworten.
Ich bin auf der Strasse gelaufen und trug eine Kette mit dem Doppeladler. «Geh aus der Schweiz, du scheiss Albaner.»
Menschen diskriminieren andere, weil sie nicht mit sich selber zufrieden sind und dann die Fehler bei anderen suchen.
Jeder ist normal, auf seine eigene Art.
Lehrpersonen finden es nicht normal, wenn die Schüler*innen Trainerhosen anhaben.
Wenn man eine Situation sieht, die nicht akzeptierbar oder respektlos ist, sollte man es ansprechen.